
Wenn ich jemandem erzähle, dass ich mich zu dem Personenkreis der Hochsensiblen zähle, kommt nur selten eine Antwort wie „Ah ja, davon habe ich schon gehört.“. Eher heißt es „Was ist denn das?“. Mir selbst ging es ähnlich, als ich vor ein paar Jahren feststellte, dass ich in vielen Situationen anders auf äußere Einflüsse reagiere, als andere Menschen in meinem Umfeld. Auf den Begriff Hochsensibilität stieß ich dann recht schnell.
Früher war alles anders
In jungen Jahren war ich – so wie die meisten Leute in meinem Alter – viel unterwegs. Disco hier, Party dort. Es störte mich überhaupt nicht, wenn ich in einem Raum mit vielen Leuten stand und mich bei lauter Musik unterhielt. Auch wenn ich zuhause war, hielt sich der Wunsch nach Ruhe in Grenzen. Meist lief laute Rockmusik und nebenher noch der Fernseher. War ein Freund zu Besuch, konnte es beim gemeinsamen Zocken auch mal richtig laut und chaotisch werden.
Vor ein paar Jahren bemerkte ich dann die ersten Veränderungen. Ich genoss es immer mehr, mich in einem ruhigen Umfeld aufzuhalten. Vor allem nach Abenden bei Freunden, an denen noch viele andere Leute anwesend waren, verspürte ich immer öfters die Vorfreude auf die Ruhe in den eigenen vier Wänden. Anfangs dachte ich mir noch nicht viel dabei. Ich ging davon aus, dass ich vielleicht etwas gestresst sei und mehr Ruhe bräuchte, als sonst. Bis die Situationen, nach denen ich Ruhe brauchte, immer öfters auftraten.
Wenn ich z.B. in einem Restaurant saß, fiel es mir nach einer gewissen Zeit immer schwerer, mich auf meinen Gesprächspartner zu konzentrieren. Irgendwann wurde es so extrem, dass ich einer Unterhaltung die am anderen Ende des Raumes stattfand, eher folgen konnte, als meiner eigenen. Je länger ich dieser Situation ausgesetzt war, desto anstrengender wurde es. Nach zwei Stunden verließen wir zum Glück das Restaurant und sofort spürte ich, wie mein Körper und mein Kopf zur Ruhe kamen. Ungefähr so, als würde man sich nach einem Marathon endlich auf eine Couch legen dürfen.
Als es in der Beziehung langsam Spannungen gab, weil ich es einfach nicht mehr verbergen konnte, wenn ich wieder einmal erschöpft war, machte ich mich auf die Suche. Ich wusste, dass sich irgendetwas an mir verändert hatte. Nur was? Zum Glück hilft einem das Internet in solchen Fällen und schnell fand ich die ersten Blogs und Foreneinträge von Menschen, die ähnliche Erfahrungen schilderten. Hier begegnete mir dann auch das erste Mal der Begriff „Hochsensibilität“.
Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich war, endlich eine Spur gefunden zu haben, der ich folgen konnte. Vor allem tat es gut zu lesen, dass es viele andere Menschen gibt, die so sind wie ich. Die beste Erkenntnis war jedoch, dass ich nicht schlechter sonder einfach nur anders bin. Zu 100% bin ich mir auch nicht sicher, ob ich hochsensibel oder einfach nur extrem sensibel bin. Denn es gibt ein paar Merkmale, die bei mir eher weniger zutreffen.
Achte auf dich und tue dir Gutes
Nun, da ich grob wusste, was mit mir los war, stellte sich eine neue Frage. Wie gehe ich damit um. Einfach eine Tablette nehmen und alles ist wie früher, geht nicht. Also begann ich damit, genau die Situationen zu meiden, in denen ich schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Auf Dauer war das jedoch keine Lösung. Zum einen, weil ich gerne noch immer am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollte. Zum anderen, weil ich die Befürchtung hatte, dass ich mich auf Dauer immer weiter zurückziehen würde. Deswegen entschied ich mich für eine Methode, die wohl auch schon vielen anderen Menschen geholfen hatte.
Ich ging offener mit dem Thema um und verabreichte meinem Geist die Ruhephasen genau dann, wenn er sie am meisten benötigte. Das bedeutete aber auch, dass es zu unangenehmen Situationen kommen musste. Wenn ich eine Verabredung absagte, weil es mir einfach nicht gut genug ging und mich vielleicht von einem langen Vorabend noch nicht erholt hatte, hätte ich früher einfach zugesagt und mich der stressigen Situation ausgesetzt. Als Ergebnis wäre ich dann ruhig und recht teilnahmslos rumgesessen und wäre noch gestresster nach Hause gefahren.
Gehe ich heute in Begleitung weg, erkläre ich in der Regel vorab, dass ich nicht weiß, wie lange ich dabei bleiben werde. Spüre ich dann nach zwei Stunden, dass es immer schwieriger wird, ziehe ich die Reißleine und gehe. Selbstverständlich verabschiede ich mich von den anderen und erhalte darauf unterschiedliche Reaktionen. So verständnisvoll viele im Vorfeld auch reagieren, so überrascht sind sie dann, wenn ich tatsächlich gehe. Meist kommt dann nur noch ein verwundertes „OK“. Anfangs belastete mich das noch, mittlerweile kann ich jedoch gut damit umgehen.
Wenn der Ballast zu schwer wird
Zwischenzeitlich habe ich auch den Kontakt zu einzelnen Menschen eingeschränkt bzw. abgebrochen. Aussagen wie „Jetzt stell dich doch nicht so an“ oder „Spring eben mal über deinen Schatten“, nehme ich hin und beginne erstmal auch keine großen Diskussionen. Irgendwann wird es aber zu viel. Wer partout kein Verständnis aufbringen möchte und mich immer wieder diesbezüglich unter Druck setzt, hat eben keinen Platz in meinem Leben. Ja, ich brauche Gesellschaft – jedoch nicht immer und nicht um jeden Preis.
Besonders kompliziert wird es, wenn ich in eine Phase komme, in der mir die Gesellschaft von anderen Menschen guttut. Denn genau so, wie man in seiner ruhigen Umgebung Kraft tankt, kann man auch aus der Gesellschaft mit Anderen Kraft tanken. Das klingt für manch einen im ersten Moment widersprüchlich und ruft Reaktionen wie „Ja was denn nun? Ruhe oder nicht? Du legst es dir auch so, wie du es gerade brauchen kannst.“, hervor. Genau so ist es. Man legt es sich genau so, wie es einem hilft. Dass es für Außenstehende schwer nachzuvollziehen ist, leuchtet ein. Manchmal nervt es mich auch selbst, wenn ich jemandem absage und genau in dem Moment, in dem das Treffen stattgefunden hätte, plötzlich doch Lust darauf hätte.
So paradox es auch klingen mag, aber das Wissen um meine Eigenart, hat mich selbstbewusster gemacht. Ich achte zuerst auf mich selbst, dann auf andere. Solange das im Rahmen bleibt, komme ich damit auch wunderbar durchs Leben. Hier und da rumpelt es und fliegen die Fetzen, das tat es vorher aber auch schon.
Mittlerweile bin ich auch auf ein Thema gestoßen, welches geradezu für Menschen gemacht ist, die sich gerne zurückziehen und viel nachdenken. Die Philosophie. Warum bin ich? Wer bin ich? Wie ist das alles entstanden? Es gibt so viele Möglichkeiten über diese Fragen nachzudenken. Vor allem existieren tausende von Büchern, Podcasts und Videos dazu. Zumindest für mich tut sich dort gerade eine neue Welt auf. Meine ersten Gedanken sind übrigens schon nachzulesen, in dem Artikel Was kann ich wissen?
Wie immer gibt es zum Schluss noch ein paar weiterführende Links, inklusive Wikipedia: