
Wohlstand haben wir uns erarbeitet. So sagt man. Manchmal vergessen wir aber, dass wir ihn haben und vergessen ihn zu schätzen.
Eigentlich mag ich keine Kalendersprüche. Carpe Diem – Nutze den Tag, Was du heute kannst besorgen…, Man weiß erst dann was man hatte, wenn man es verloren hat.
Die letzten Jahre wurde mir immer bewusster, dass ich privilegiert bin, in der heutigen Zeit und in Mitteleuropa zu leben. Wir müssen uns keine Sorgen darüber machen, ob wir morgen noch genügend zu Essen haben. Wir müssen keinen Gedanken daran verschwenden, woher wir sauberes Trinkwasser bekommen. Außerdem genießen wir den Luxus einer gesetzlichen Krankenversicherung. Egal wie schlecht es mir geht, der Staat wird sich um meine Gesundheit kümmern.
First World Problems
Wenn ich mich mit Freundinnen und Freunden unterhielt, benutze man gerne scherzhaft den Begriff „First World Problems“, wenn wir uns über etwas beschwerten, das bei genauerem Hinsehen nicht der Rede wert war. Man wollte mit dem Ausspruch darauf aufmerksam machen, dass es sehr, sehr, sehr viele Menschen auf unserem Planeten gibt, die sich tagtäglich mit weitaus schlimmeren Problemen zu kämpfen haben. Was beschäftigen uns heute für Fragen? Wann erscheint das neue iPhone? Mit welchem ETF Sparplan mache ich am meisten Rendite? Wie lange muss ich beim Einkaufen noch eine Maske tragen?
Man sollte immer vorsichtig damit sein, wenn es um die Formulierung von Problemfragen geht. Schnell vergisst man, in welch privilegierten Situation man sich befindet. Als ich letzte Woche mit dem Auto zur Arbeit gefahren bin, war ich schrecklich genervt, weil mir zwei Mal die Vorfahrt genommen wurde. Auf der Autobahn wurde ich von hinten bedrängt, weil es jemandem nicht schnell genug ging. Sollte ich nicht dankbar dafür sein, dass dies meine größten Probleme des Tages waren?
In der Schule wurden wir darüber aufgeklärt, dass Krieg etwas Schreckliches ist. Später las ich jede Menge Bücher über den Zweiten Weltkrieg. Sowohl darüber wie er entstanden ist, als auch über das Leid, welches die Menschen damals ertragen mussten. Nachts gab es Bombenangriffe und man musste in Luftschutzkellern Zuflucht suchen, Panzer rollten über die Straßen und beschossen Wohnhäuser, trotzdem wurde man aufgefordert, in den Häusern zu bleiben. Dort war es tatsächlich noch sicherer als auf den Straßen.
Trügerische Sicherheit
Ich dachte immer, dass sich so etwas nicht mehr wiederholen würde. Tatsächlich tat es das aber immer wieder. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, gab es immer wieder kriegerische Konflikte auf der Welt. Vietnam, Irak, Korea, Afghanistan, Jugoslawien… Meist hatten wir das Glück, dass diese Handlungen weit weg von uns stattfanden. Dadurch entstand eine gewisse Selbstsicherheit und auch wenn es schwer fällt es zuzugeben, eine gewisse Gleichgültigkeit, wenn man in den Nachrichten davon hörte. Krieg? Das findet immer nur dort statt, wo wir nicht leben.
Seit ein paar Tagen sieht das anders aus. Der Angriff Russlands auf die Ukraine brachte den Krieg so nahe, wie schon lange nicht mehr. Offen wird in den Nachrichten davon gesprochen, dass man zum äußersten bereit sei. War es vor kurzem noch undenkbar, den Bundeswehretat zu erhöhen, findet innerhalb von ein paar Tagen ein (notwendiges?) Umdenken statt. Kurzerhand wird ein zusätzliches Budget von 100 Mrd. Euro bewilligt, um die Armee wieder auf Vordermann zu bringen. Das macht mir Angst.
Man ist sich seines Wohlstandes oft nicht bewusst
Eine Welt, in der das Gefühl der Sicherheit normal war, bröckelt gerade gewaltig. Umso mehr wird einem bewusst, wie gut man es die letzten Jahre doch hatte. Ich gehe arbeiten, sitze danach entspannt in meinem Sessel und lese. Danach schaue ich mir vielleicht einen Film an und esse etwas Leckeres. Irgendwann beginnt die Urlaubszeit und ich stelle mir die Frage, wohin es mich ziehen wird. Nordsee, Alpen, Städtereise? Oder vielleicht doch mit dem Flugzeug ans Meer? Es gibt keine Grenzen, die nicht überwindbar sind.
Wir leben wie die Made im Speck und sind uns dessen nicht immer bewusst. Wir streben nach immer noch mehr Wohlstand. Diesen verbinden wir mit Besitz und Konsum. Neue Smartphones, neue Autos, neue Kleider. Auch wenn wir ab und zu sagen, dass wir es schon guthaben, so wird dieser Gedanke im Alltag nur allzu gerne verdrängt. Ich mache dabei keinem einen Vorwurf. Mir selbst geht es nicht anders. Man steckt so tief in seinem eigenen Leben und hat sich angepasst.
Ich möchte mir nicht ausmalen, was durch den Krieg in der Ukraine alles entstehen könnte. Ich verdränge es und sobald ich merke, dass sich die Gedanken wieder in den Vordergrund drängen, schotte ich mich ab. Ich flüchte in meine bisherige Welt, in der es keine offensichtliche Bedrohung gab. Ich schnüre meine Wanderstiefel und genieße die Natur. Dann wird mir wieder bewusst, wie gut ich es habe. Ich atme tief durch und mein Kopf beruhigt sich. Ich hoffe inständig, dass sich alles wie durch Zauberhand wieder beruhigen wird. Unsere Welt kann so schön sein und hat noch so viel zu bieten. Es wäre fatal, wenn wir sie durch sinnlose Kriege zerstören.
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